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Swutscher – Palm Royale

Sascha Utech, Velvet Bein, Mike Krumhorn, Sebastian Genzink und Martin Herberg: Das sind Swutscher. Auf dem Cover ihres Debüt-Albums „Wilde deutsche Prärie“ aus dem Jahr 2018 sahen wir ein brennendes Haus, welches von offenbar irrsinnigen Gestalten umlagert war. Knappe vier Jahre später, auf dem Cover ihres zweiten Albums, steht die Band in Husum am Deich. Im Hintergrund sehen wir das im Erscheinungsjahr des Debüts ausgebrannte Nordsee-Hotel. Die Blicke der Bandmitglieder lassen freundliche Entschlossenheit erkennen, die in ihrer Lässigkeit sehr norddeutsch ist. Trotzdem zweifle ich keinen Augenblick daran, dass Swutscher es noch immer verstehen, ihre Umgebung in Flammen zu versetzen, ja eine Spur der Zerstörung zu hinterlassen. Ihr Ruf ist legendär. Jeder Mensch, der Swutscher schon einmal Live erleben durfte, weiß, dass es sich hierbei nicht nur um ein geistiges, sondern auch um ein körperliches Erlebnis handelt. Mit einer unbeschreiblichen Wucht und Energie walzen sie jegliche, dem Publikum innewohnende Vernunft nieder und führen es so in eine wundervolle Entgrenzung.

Glücklicherweise erschöpft sich der Charakter von Swutscher jedoch nicht in derartigen Spektakeln. Swutscher nehmen das Musizieren ernst. Sie gemahnen an eine Zeit, in der Musik noch in vielerlei Hinsicht gefährlich sein konnte. Sound, Lautstärke und Inhalte in den Texten waren in der Lage, die Gewissheiten, die sich bis dahin im Leben eines jungen Menschen aufgebaut hatten, zu erschüttern. Davon ist heute leider oftmals nicht viel mehr übrig geblieben, als ein moralinsaurer Feelgood-Soundtrack (Rock/Pop) oder aber ein prahlerische Nabelschau (Hip Hop). Vermutlich klingen Swutscher auch deshalb einerseits mit ihrem Rock’n’Roll & Pub-Rock so wunderbar aus der Zeit gefallen und andererseits so avantgardistisch. Saschas Stimme, die so schön rau und in jedem Augenblick dringlich ist, zieht uns in den Bann. Und es ist gut, dass die Band gegen allzu leichte Verständlichkeit anspielt.
Textlich geht es bei Swutscher um’s Ganze. Um die Schönheit des Lebens und um das Risiko des Falls, wenn man ebendiese Schönheit im Exzess zu sehr auskostet.

Swutscher haben das Album selbst produziert. Glücklicherweise. Kompromisse wurden nicht gemacht. Die Leitlinie war: Lampen an! Nichts hätte dem Material besser tun können. Neu ist, der nun manchmal psychedelisch-geheimnisvolle Charakter mancher Song z.B in Tabak, in Im Suhlenkamp oder in Mystische Nächte, dessen Text durch wundervollen Twist überrascht. Unbedingt empfehlen möchte ich auch die High-Energy-Rock-Songs des Albums Zum einen Ü-30: „Hast du etwas Zeit für mich / dann singe ich kein Lied für dich/ denn ich bin viel zu beschäftigt / mit dem Laub und dem Estrich“ Zum anderen Rocker. Dessen Text gehört zum prägnantesten seit Highway to Hell von AC/DC: „Die Birne rot / Schnauze locker /Ich bin ein / wa wa wa wa wa wa / waschechter Rocker.“ Die Musik tut ihr Übriges. Der Song ist ein brandneuer Klassiker.

Es ist eine große Lust, Swutscher beim Musizieren zuzuhören. Allerorten gibt es tolle Arrangements. Zunächst einmal grooven Swutscher in jedem Moment . Darüber hinaus ist ihn ein sehr vielfältiges Album gelungen.

Es gibt mitreißende Orgelgewitter und treibende Conga-Parts (Tabak) eine verträumte Drumbox, die sich von einem wunderschönen Saxophon und ebensolchen Basslinien umgarnen lässt (Im Suhlenkamp), plötzlich eingeschobene große Pop-Momente (Als ich Dich das erste mal vergaß), einen aus dem Ärmel geschüttelten Country-Hit (Palm Royal), Honky Tonk gepaart mit einem supergroßartigen Gitarrensolo (Ü30) und so vieles mehr. Zum Schluß überraschen uns Swutscher dann noch mit einer opulenten Neueinspielung von Bodo, einem ihrer schönsten Song. Ein großes Finale für ein große Album!

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Prophezeiung, die Swutscher im Song Tohuwabohu anstellen, erfüllen wird: „Wir werden gewinnen / Irgendwann,irgendwann!“

Jan Müller (Tocotronic, Reflektor)

Swutscher Tour 2022

20.4. A- Wien – Rhiz
21.4. München – Heppel & Ettlich
22.4. CH-Basel – Hirscheneck
23.4. Stuttgart – Club Cann
28.4. Düsseldorf – KulturSchlachthof
29.4. Husum – Speicher
30.4. Hamburg – Molotow
05.5. Kassel – Goldgrube
06.5. Münster – Gleis 22
07.5. Bremen – Tower
08.5. Hannover – Bei Chez Heinz
17.5. Köln – Bumann & Sohn
18.5. Nürnberg – Muz Club
19.5. Chemnitz – Nikola Tesla
20.5. Dresden – Groove Station
21.5. Berlin – Urban Spree